Mit Trutz Simplex präsentiert die Bildhauerin und Autorin Anna Herms ihre erste Einzelausstellung im Paint Shop. Ausgangspunkt ist das Buch Le Livre de la Cité des Dames (1405) der französischen Schriftstellerin Christine de Pizan, das sie als Antwort auf das Buch „Lamentationes Matheoli“ des Geistlichen Matthaeus von Boulogne schrieb, in welchem dieser, wie viele seiner gelehrten Zeitgenossen, misogyne Ansichten verbreitete. De Pizan entwirft darin eine symbolische Stadt der Frauen – ihr Baumaterial sind keine Steine, sondern Geschichten und Mythen von Frauen aus der biblischen, der antiken und der jüngeren Geschichte. Dabei setzt sie zum Teil die Maske der Naiven auf und gibt männliche Argumente gegen die Frauen mit gespielter Ernsthaftigkeit wieder, um sie in der nächsten Szene aus der Rolle der selbstbewussten Autorin heraus zu widerlegen. De Pizan, Schriftstellerin und Philosophin, 1364 in Venedig geboren und am französischen Königshof aufgewachsen, gilt als die erste Autorin, die vom Schreiben leben konnte und als meistgelesene Autorin des europäischen Mittelalters. Trotzdem wurde ihr Text erst in den 1980ern ins Deutsche übersetzt und verlegt. Sie gilt in Deutschland immer noch als Geheimtipp für „Feminismus-Historikerinnen“.¹ In keramischen Plastiken und einer Videoarbeit begegnen sich Autorinnen aus sieben Jahrhunderten – von de Pizan über Karoline von Günderrode, Virginia Woolf, Irmtraud Morgner, Elfriede Jelinek bis Virginie Despentes und viele andere.² Herms’ Arbeiten in der Ausstellung verstehen sich als Fundstücke einer literarischen Grabung, in der teilweise verschüttete Positionen sichtbar und erfahrbar werden. In diesem Zusammenspiel verdichten sich Themen von kulturellem Erbe, Raub und Aneignung – und die Erkenntnis, dass es nach wie vor eine gemeinsame Aufgabe bleibt, die Geschichte(n) von Frauen sichtbar zu halten. Den Mittelpunkt bildet eine Plastik, die an die Göttin Bastet aus der ägyptischen Mythologie erinnert, Göttin der Fruchtbarkeit, der Freude, Musik und des Tanzes. Der Titel Trutz Simplex verweist auf Grimmelshausens Figur Courasche, einen Gegenentwurf zum Simplicissimus desselben Autors und eine weibliche Perspektive auf die Wirren des Dreißigjährigen Krieges. Herms greift sie als Symbolfigur weiblicher Selbstermächtigung auf – schreibend, sprechend, überlebend. Mit dem Bau ihrer persönlichen Stadt der Frauen erweitert Herms die fortwährende Geschichte der Auflösung patriarchaler Strukturen um ein eigenes, fast fröhliches Kapitel – ein Raum, in dem Vergangenheit und Gegenwart schreibender Frauen aufeinandertreffen.¹ Katharina Teutsch, Rezension einer neuen Werkausgabe auf Deutsch zu entdecken: Christine de Pizan 11.10.2024, faz.net ² Die Bettine wittert, dass die Strukturen der ihr bekannten Ästhetik in irgendeinem, wie immer vermittelten Sinn zusammenhängen müssen mit der hierarchischen Struktur der Gesellschaft.. es ist ein unlösbarer Widerspruch, dass Literatur von den Ordnungen abhängt, die sie doch, um Literatur zu werden, dauernd überschreiten muss. Christa Wolf in „Nunja! Das nächste Leben geht aber heute an - ein Brief über die Bettine“, Insel Verlag, Leipzig, 1983
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Thomas Krüger