Schon beim ersten Blick auf die großformatige Graphitzeichnung „Sinister Garten“ wirkt es, als
trete man in eine geheimnisvolle Szenerie ein. Drei Frauen stehen zwischen Bäumen, ihr nackter
Körper ungeschützt, ihre Haltung zugleich von einer eigentümlichen Selbstgewissheit getragen.
Ihre Posen erinnern an klassische Weiblichkeitsbilder – ein angewinkeltes Knie, ein Fuß leicht
zurückgesetzt – und doch strahlen sie etwas aus, das diese Gesten übersteigt: Entschlossenheit,
Widerständigkeit, eine stille Kraft.
Eine Frau hebt eine Kugel, beinahe wie eine Frucht, in die Luft. Ist es ein Ball, ist es ein Apfel?
Schon der Titel der Ausstellung legt nahe, dass hier auf etwas Ursprüngliches verwiesen wird –
auf das erste Begehren, den ersten Ungehorsam, den ersten Schritt in eine neue Ordnung.
Eine andere blickt die Betrachtenden direkt an, so, als wolle sie ein unausgesprochenes
Wissen teilen.
Die Szene ist wie gerahmt: Bäume am Rand, ihre Äste greifen von oben ins Bild, unten eine
Wiese. In diesem Bildraum entfalten die langen, dunklen Haare der Frauen eine eigene Dynamik.
Wild, in Wellen, teils miteinander verfl ochten, scheinen sie Bewegung in die stille Komposition zu
bringen – fast so, als bildeten sie ein unsichtbares Netz, das die Figuren miteinander verbindet.
Auffällig ist, wie genau Santomé die Spannungen zwischen sichtbarer Natürlichkeit und
verdeckter Künstlichkeit herausarbeitet: Schamhaar ist präsent, Achselhaar bleibt ausgespart.
Eine kleine Differenz, die doch sofort Fragen nach Normen und Zuschreibungen aufwirft.
Die Bildsprache erinnert dabei unweigerlich an die Venus in der Muschel: die klassische Pose,
das lange, wallende Haar. Doch während Botticellis Venus ihr Geschlecht verhüllt, verweigern
Santomés Frauen diese Geste. Sie stehen offen da, ihr Körper ist nicht Schamobjekt, sondern
Ausgangspunkt einer anderen Erzählung.
Von dieser Zeichnung ausgehend spinnt Santomé einen vielschichtigen Faden. Ausgangspunkt
war ein Besuch in der Berliner St. Marienkirche, wo die Darstellung von Eva und der Schlange
die Künstlerin zu einer Recherche über ikonografi sche Ursprünge und patriarchale Mythen
anregte. Die Ausstellung entwickelt daraus eine Refl exion über den Moment, in dem alles
begann – die Geschichten von Schuld, Verführung und Strafe, die bis heute unsere
Vorstellungen von Geschlecht und Macht prägen.
Santomés Praxis ist interdisziplinär und forschungsbasiert. Sie transformiert traditionelle
Techniken wie Prägung, Wandzeichnung oder Bleiglas in zeitgenössische Kontexte. Ihre
Materialien sind keine neutralen Träger, sondern mit Bedeutungen aufgeladen: Sie öffnen
Räume, in denen Mythen umgedeutet und bestehende Strukturen aufgebrochen werden können.
The Beginning of Everything verwebt Fiktion und Erinnerung, Ursprungsmythos und Gegenwart.
Die Ausstellung fragt nach der Rolle von Bildern – wie sie Machtverhältnisse zementieren oder
sprengen können. Sie macht sichtbar, wie jede Erzählung neu geschrieben werden kann –
und dass ein Anfang immer auch eine Möglichkeit ist.